Freispruch in Flensburg

Freispruch in Flensburg

Wir erleben momentan, dass die Diskussionen um das Klima eine gefährliche Verschiebung erfährt. Es wird darüber gestritten, wie weit ziviler Ungehorsam gehen darf, ob bei Aktionen der „Letzten Generation“ Menschenleben gefährdet werden und ob diese Gefährdung einkalkuliert wurde.  Zugleich  wird darüber gesprochen, ob Kartoffelbrei oder Tomatensuppe geeignet sind, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.

Nun hat eine Flensburger Richterin ein überraschendes und hoffentlich wegweisendes Urteil gesprochen: Die Waldbesetzung in Flensburg fällt unter „Rechtfertigenden Notstand“.

„Früher hätte ich gesagt, dass der Staat das Klimaschutzziel von selbst verfolgt, aber im Jahr 2021 lässt sich das nicht halten“ sagte die Richterin.

Übersetzt bedeutet das: Würde sich die Regierung ausreichend dafür einsetzen, dass die selbstgestecken Klimaschutzziele eingehalten werden, wäre jeglicher Protest unnötig. Da sie es nicht tut, ist er leider notwendig.

Was war passiert?

Seit Jahren wird um die Neuplanung des Bahnhofsumfeldes gestritten. Irgendwann wurde dann beschlossen einen innerstädtischen Wald zu fällen um dort ein Hotel und einen Parkplatz zu bauen.

Im Oktober 2020 besetzten etwa 20 Personen die Bäume am Flensburger Bahnhof.

Im Februar 2021 wurde das Gelände schlussendlich geräumt, nachdem eine private Sicherheitsfirma im Auftrag der Investoren den Wald umzäunt hatte, um Baumfällern das Ansägen und Fällen der Bäume zu ermöglichen. Dabei befanden sich zum Teil noch Menschen in den Baumhäusern. Auch die Gefahr für die Sicherheitskräfte der engagierten Firma fiel neben der Profitgier der Investoren nicht weiter ins Gewicht. Nachdem die Polizei die Fällarbeiten erst unterbunden hatte, räumte sie einen Tag später das Gelände selbst und berief sich dabei auf den Verstoß gegen eine für die Woche geltende coronabedingte Ausgangssperre.

Das Flensburger Amtsgericht sorgte nun am 7.November für eine ziemliche Überraschung und sprach einen Aktivisten aus dem Kontext des Bahnhofswaldes frei. Als Begründung zog die Richterin den § 34 StGB heran, den rechtfertigenden Notstand.

Der Person wurde vorgeworfen auf dem Grundstück der Firma JARA Immobilien einen Hausfriedensbruch begangen zu haben. Dies bestätigte die Richterin Fr. Buchenau, hielt das Mittel der Besetzung und den damit verbundenen Hausfriedensbruch allerdings für angemessen, um sich gegen den Klimawandel und die Vernichtung eines innenstädtischen Waldes einzusetzen, und urteilte nach knapp 3 ½ Stunden Verhandlung mit einem Freispruch. Sie fügte allerdings auch schon hinzu, dass die Staatsanwaltschaft wohl in Berufung gehen werde. Diese hatte 15 Tagessätze gefordert.

Dieser Freispruch beruft sich auch auf das Bundesverfassungsgericht, welches der Bekämpfung des Klimawandels Verfassungsrang einräumte. Das Urteil in Flensburg stellt sich gegen die immer lauter werdenden Stimmen, der Aktivismus der Klimagerechtigkeitsbewegung müsse härter bestraft werden. Eine Richterin, die der Meinung ist, die Regierung tue zu wenig für das Klima und eine Besetzung sei eine legitime Protestform, ist zwar kein Grund, in ausschweifenden Jubel auszubrechen, aber trotzdem ist das Urteil ein unerwartetes Zeichen für mehr Klimaschutz.

Am Mittwoch wurde nun tatsächlich beschlossen, dass der Fall geprüft wird, und zwar nicht beim Landgericht Flensburg, sondern direkt beim Oberlandesgericht in Schleswig. Es geht dabei darum, ob bei der Baumbesetzung tatsächlich ein Notstand vorlag, der die Tat Hausfriedensbruch rechtfertigt. Es wird also Eigentumsschutz und Klimaschutz gegeneinander abzuwägen sein. Dies wird dann tatsächlich ein Urteil von entscheidender Bedeutung.

Weitere Informationen findet ihr hier, auf den Seiten der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg.

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Paula