Die Scientists for Future Braunschweig bewerteten kürzlich in einer Pressemitteilung den Zwischenstand zum Klimaschutzkonzept 2.0.
Fazit: Es sind aus wissenschaftlicher Sicht noch viele Fragen offen.
Ein kurzer Rückblick:
In einem ersten Schritt wurden von September 2020 bis Februar 2021 im Rahmen einer Bürgerbeteiligung zwei Auftaktveranstaltungen, sowie sechs Fachworkshops zu Themen von der Energieversorgung über Verkehr und Gebäude bis hin zu Wirtschaft und Politik durchgeführt.
Bei der öffentlichen Auftaktveranstaltung wurden Eckpunkte der Fortschreibung des Integrierten Klimaschutzkonzepts für die Stadt Braunschweig vorgestellt: CO2-Bilanz der Stadt Braunschweig, Quellen der CO2-Emissionen, mögliche Reduktionspfade, Energieszenarien, sowie der notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien.
In den Fachworkshops wurden konkrete Maßnahmenkataloge erarbeitet, die den Klimaschutz in den verschiedenen Themengebieten maßgeblich vorantreiben. Die Workshops waren produktiv, transparent und zielführend.
Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass sich die Stadt Braunschweig das im Pariser Klimaschutzabkommen formulierte 1,5°C -Ziel als Rahmenbedingung für ihre künftigen Ziele im Klimaschutz setzt.
Problematisch wird es aber bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Hierzu wurden von Seiten der Stadtverwaltung während der Auftaktveranstaltung im September 2020 verschiedene mögliche Reduktionspfade vorgestellt. Einer dieser Pfade, der Emissionspfad „Szenario“ strebt CO2-Neutralität allerdings erst nach 2050 an, was weder mit dem 1,5°C Ziel kompatibel ist, noch der neuen Gesetzeslage entspricht, die sich durch das kürzlich verabschiedete neue Klimaschutzgesetz[1] ergeben hat. Die Frage ist also, ob mit den Zielen, die womöglich im Klimaschutzkonzept verankert werden sollen, das 1,5°C -Ziel überhaupt erreicht werden kann.
Weitere kritische Punkte im neuen Klimaschutzkonzept ist das Thema Carbon Dioxide Removal (CDR), die sogenannten „negativen Emissionen“. Dabei geht es um Maßnahmen, die in irgendeiner Form dazu dienen, CO2 aus der Luft zu entnehmen. Es handelt sich hierbei aber teilweise um Technologien, die noch gar nicht zur Verfügung stehen oder als gefährlich und kritisch zu bewerten sind.
„Negative Emissionen“ in ferner Zukunft sind nach heutigem Kenntnisstand hochspekulativ und unsicher und sollten nicht Bestandteil eines ernst gemeinten Klimaschutzkonzeptes sein. Bei Emissionsszenarien mit diesen sogenannten „negativen Emissionen“, welche CO2-Neutralität erst nach 2050 anstreben, wird praktisch ein „Kohlenstoff-Kredit“ aufgenommen, den die nachfolgenden Generationen zurückzahlen müssen. Diese Strategie ist nach Einschätzung der Scientists nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar. Auch die Einrechnung von potentiellen CO2-Senken durch Wälder oder die Wiedervernässung von Mooren in die CO2-Bilanz ist eher ein „Rechentrick“, um höhere Emissionen an anderer Stelle „auszugleichen“ und sich mit weniger ambitionierten Maßnahmen zu begnügen.
Wie geht es nun weiter?
Seit dem letzten Fachworkshop am 18.02.2021 wurden von Seiten der Stadt lange Zeit leider keine weiteren Informationen veröffentlicht.
Es ist aber dringend erforderlich, dass zwischen der Veröffentlichung eines Entwurfs des Klimaschutzkonzepts 2.0 und dem Beschluss durch den Rat der Stadt Braunschweig hinreichend Zeit zur Verfügung steht, um die Ergebnisse im Rahmen der Bürger*innenbeteiligung zu prüfen und zu diskutieren.
Prof.Dr. Andreas Hördt bewertet den Stand der Dinge folgendermaßen: „Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und das neue Klimaschutzgesetz ergeben sich neue Rahmenbedingungen, auf die die Verwaltung der Stadt Braunschweig nun reagieren muss. Das Klimaschutzkonzept 2.0 muss dringend angepasst werden, und das Thema sollte bei der nächsten Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Die Reduktionspfade müssen präzisiert werden und Sofort-Maßnahmen sollten so schnell wie möglich eingeleitet werden.“
Diese nächste Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses findet übrigens am kommenden Mittwoch, den 21.7. statt und ist (zum Teil) öffentlich. Wenn Euch interessiert auf welchem Stand die Planung ist, schaut es Euch doch an. Nähere Informationen zur Sitzung findet ihr hier: Tagesordnung
Ausführliche Informationen zur Beschlussvorlage findet ihr hier: Beschlussvorlage
Im Anschluss an den öffentlichen Teil der Sitzung findet eine Einwohnerfragestunde statt, sofern Fragen vorliegen.
Ich finde, wir sollten deutlich machen, dass wir an einem ambitionierten Klimaschutzkonzept 2.0 interessiert sind. Eine bessere Gelegenheit dazu wird es so schnell vielleicht nicht geben.
Die vollständige Pressemitteilung findet ihr übrigens hier: 2021-06-29 PM Scientiests for Future zum IKSK 2.0 Braunschweig
Über die Scientists for Future
Die Scientists for Future Braunschweig sind ein überinstitutioneller, überparteilicher und interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, die sich für eine nachhaltige Zukunft engagieren. Unter dem Motto „Wir forschen und handeln, wir sind mutig und wir ändern etwas!“ unterstützen wir in beratender Funktion die lokalen Fridays und Students for Future in Braunschweig und Umgebung. Als Regionalgruppe Braunschweig schließen wir uns der Charta der bundesweiten Scientist for Future an: https://www.scientists4future.org/about/charta/
[1] Am 24.3.2021 hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass die Regelungen des aktuellen Klimaschutzgesetzes mit den Grundrechten unvereinbar sind, da hinreichende Maßgaben zur Emissionsminderung ab dem Jahr 2031 fehlen. Die Bundesregierung hat darauf sehr schnell reagiert und einen Gesetzentwurf vorgelegt, der am 24.6.2021 vom Bundestag beschlossen wurde. In diesem Gesetzentwurf ist festgelegt, dass Netto-Treibhausgasneutralität bereits 2045 erreicht werden muss. Dieses Ziel ist verbunden mit deutlich strengeren Reduktionszielen schon bis 2030.