Der entscheidende Moment war, als ich vor dem Gemüseregal stand und mir völlig unschlüssig war: Nehme ich die in Plastik verpackten regionalen Möhren, auf denen Bio steht, oder greife ich doch nach den unverpackten aus Belgien?
Ich stellte fest, dass der Anspruch, klimaverträglich einzukaufen gelegentlich Zeit und Nerven kostet. Da fiel mir eine Lösung ein. Immerhin habe ich einen eigenen Garten, also warum nicht selber anpflanzen? Man konnte ja erst einmal klein anfangen, ein paar Zwiebeln, ein paar Möhren. Frischer, unverpackter und regionaler geht es jedenfalls nicht.
Wir nutzten das Frühjahr, um ein Hochbeet zu bauen, füllten es mit vielem, was sowieso im Garten herumlag. Strauchschnitt und Laubhaufen verschwanden darin, gehäckselte Zweige und Mulch. Dann holten wir Kompost von der Müllhalde und Humus vom Gärtner. Die ersten vorgezogenen Brokkolis, Blumenkohlpflänzchen und Kohlrabis zogen aus den Töpfen um ins Beet, Möhren wurden direkt gesät und Zwiebeln gesteckt.
Dann war eigentlich das meiste getan: ein bisschen gießen, hier und da mal Unkraut zupfen, etwas Brennesseljauche an die hungrigen Pflanzen, den Rest erledigt die Natur allein. Mit einigem Staunen wurde mir klar, dass Gartenarbeit gar nicht so anstrengend und zeitaufwändig ist, wie ich dachte, aber sehr viel befriedigender als der Einkauf im Supermarkt. Noch erstaunter war ich bei meiner ersten Ernte. Ich hatte nicht gewusst, wie intensiv Gemüse schmeckt, das frisch geerntet auf den Teller kommt. Sogar meine gemüsekritischen Söhne wollten plötzlich Rohkostteller.
Natürlich blieb es nicht bei dem einen Hochbeet. (Achtung: Eigenanbau macht süchtig!) Auf unsere Rasenfläche wurde ein Gewächshaus gestellt, in dem ich Tomaten, Paprika und Melonen ziehe, ich pflanzte Obstbüsche, ich legte flache Kompost-Beete an, baute noch drei neue Hochbeete, wurde Stammkundin in Watenbüttel (wunderbarer Kompost!) und stellte Regentonnen auf, um die notwendige Bewässerung wassersparend zu gewährleisten.
Natürlich ging in diesem ersten Gartenjahr vieles schief, Stangebohnen blieben unsichtbar, die Zucchiniblätter waren voller Mehltau und die Kürbisse blieben auf Murmel-Größe. Aber allen Pleiten zum Trotz packte mich die Leidenschaft für die Gartenarbeit und ließ mich nicht mehr los. Ich begann zu lesen und zu studieren, beschäftigte mich mit Permakultur, Fruchtwechsel, Fruchtfolge und schaute mir jeden Tag ein neues YouTube-Video an. „Hallo, hier bin ich wieder, euer Garten-Hugo. Heute zeige ich euch, was ihr bei der Anzucht von Schlangengurken bedenken müsst…“
Selten habe ich so viel in einem Jahr gelernt wie in diesem. Das meiste davon allerdings nicht in Büchern oder durch Videos, sondern durch Ausprobieren, Beobachten, Erleben. Dadurch ist mir vieles, was in diesem kleinen Garten-Lebensraum passiert und ineinandergreift, erst bewusst geworden. Ich verbringe so viel Zeit im Garten wie Beruf, Haushalt und Familie zulassen und finde das außerordentlich erholsam. Inmitten von all dem Blühen und Wachsen scheint die Zeit einfach anders zu verlaufen als in unserer hektischen, eng getakteten Beton- und Asphaltwelt.
Dabei ist dieser städtische Gartenbau keineswegs nur ein privates Vergnügen, sondern durchaus Teil einer inzwischen weltweiten Bewegung, die sich „Urban Gardening“ nennt. Mehr darüber in dem Artikel Urban Gardening – Mit Gärten unsere Städte verändern von der gemeinnützigen Stiftungs-GmbH RESET: „Aus vereinzelten Balkongärtnern und Laubenpiepern ist eine Bewegung geworden: in den Städten dieser Welt wird an allen möglichen und unmöglichen Orten gebuddelt, gepflanzt und geerntet. Auf Brachen, Dächern, Mauern und Grünstreifen werden Blumen gezüchtet und Möhren aus der Erde gezogen. Mit jedem Beet wird wieder ein Stück Natur in die Stadt geholt.“