Eine solidarische Nachbarschaft, die sich gemeinsam auf den Weg macht, um ein nachhaltiges und solidarisches Zusammenleben im eigenen Stadtteil zu verwirklichen – eine Utopie? Ein Kiez mitten in Berlin Kreuzberg zeigt, das alles möglich ist – man muss es nur tun!
Cléo, eine der Initiatorinnen vom Klima-Wandel-Kiez, stand uns freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung und ermöglicht uns dadurch einen Einblick in ein – aus unserer Sicht – sehr ermutigendes, nachahmenswertes Projekt.
Kannst du uns etwas über den Anfang vom „Klima-Wandel-Kiez“ erzählen?
Mein persönlicher Anstoß war meine Aktivität in der Klima-Bewegung. Ich bin begeistert von den selbstorganisierten, basisdemokratischen Gruppen, die einen neuen Umgang mit Menschen, Natur und Erde einfordern. Aber ich sehe auch, wie die Politik derzeitig alle wichtigen Entscheidungen ausbremst. Ich wollte selber etwas Konstruktives in meinem direkten Umfeld machen. Da dachte ich, dass das „Exportieren“ der fast immer hierarchiefreien, sehr effizienten Arbeitsweisen der Klima-Bewegung in das direkte Umfeld gute Werkzeuge für nachhaltige Veränderung und Solidarität sein können, gleich vor der eigenen Haustür. Deshalb habe ich erst einmal ein paar Nachbar:innen in meine Küche eingeladen. Es fanden sich die ersten zusammen, die sich auf den Weg machen wollten, unser Kiezleben gemeinsam nachhaltiger zu gestalten. Wir wollten eine erste Offene Versammlung auf die Beine stellen. Eine Grafikerin hat uns ein tolles Plakat entworfen, wir haben mit der Schule Kontakt aufgenommen und die Aula für die Offene Versammlung bekommen. Die fand im Februar 2020 statt. 70 Leute kamen. Wir haben gemeinsam drei Stunden lang gearbeitet. Wir hatten zwei tolle Moderator:innen, die Arbeit war ähnlich wie in einem „Open Space“. Es kamen sehr unterschiedliche Menschen, die wenigsten davon waren Klima-Aktivist:innen.
Was waren die Ergebnisse?
Nun, wir stellten die Diskussionen unter folgende Fragestellung „Wie können wir den Kiez nachhaltiger und solidarischer gestalten?“ Sprich:
1. Wem gehört der Straßenraum? Warum kümmern wir uns liebevoll um unsere eigenen vier Wände, aber nicht um das gemeinsame Draußen?
2. Wo können wir gemeinsam stärker sein als wenn wir einzeln unterwegs sind?
Daraus entstanden ganz viele Ideen: Zum Beispiel wieder gemeinsame Waschküchen einzuführen, genossenschaftlich organisierten Mieterstrom zu nutzen oder straßenweise SoLaWi einzuführen, also gemeinsam mit einem regionalen Landwirtschaftsbetrieb zusammen zu arbeiten.
Wie ging es nach der Versammlung weiter?
Es bildeten sich sieben verschiedene Arbeitsgruppen: Energie, Ernährung, Bildung, Soziales, Mobilität, Kultur+Feste, Gärtnern und Netzwerken+Organisation. Die begannen mit viel Energie und Ideen mit der Arbeit. Jeden Mittwoch haben wir einen Stammtisch organisiert. Dann kam Corona und bremste uns erst einmal aus. Was aber gerade während des Lock-Downs aufblühte, war das gemeinsame Gärtnern auf der Straße.
Auf der Straße?
Ja, wir haben ja keine Gärten, bei uns gibt es allenfalls Hinterhöfe. Deshalb haben wir Hochbeete auf die Straße gebaut. Zwei große Wildblumenwiesen haben wir geschaffen, Baumscheiben bepflanzt. Das war wie eine Explosion. Inzwischen arbeiten wir auch mit der Verwaltung zusammen, haben für die Bewässerung Standrohre und Baumsäcke erhalten. Die Naturschutzbehörde unterstützt uns ebenfalls. Das Zusammenspiel mit den Behörden ist sehr wichtig, zum Beispiel, um Flächen, bzw. Straßenbereiche umzuwidmen. Wir werden jetzt in Berlin das erste Pilotprojekt für Boden-Entsiegelung. Sechs zusammenhängende Parkplätze werden komplett entsiegelt, so dass hier wieder Landschaft entstehen und gegärtnert werden kann. Diese Entsiegelung ist unglaublich wichtig, um in einer Großstadt die Temperaturen zu senken und Regenwasser versickern zu lassen.
Wie soll es weitergehen mit dem Klima-Wandel-Kiez?
Die nächste Offene Versammlung ist coronabedingt auf dem Schulhof geplant. Dann wollen wir weitere Menschen gewinnen und informieren, was wir schon gestartet haben. Bestimmt werden mit den neuen Menschen auch neue Ideen dazu kommen. Einer von uns hat zum Beispiel sich das Thema Mobilität vorgenommen. Wir wollen den Verkehr massiv reduzieren und dadurch mehr Lebensqualität schaffen. Er wird mit anderen, die sich stark dafür interessieren, verschiedene mögliche Verkehrskonzepte erarbeiten, die wir dann gemeinsam besprechen werden und im nächsten Schritt der Stadt vorstellen werden.
Aber es geht nicht nur um Klimaschutzmaßnahmen bei dem Projekt, sondern auch um soziale Aspekte. Bei uns finden alle Menschen ihren Platz. Der kauzige grimmige Einsiedler, der aber leidenschaftlich gerne baut und tüftelt. In unserem Projekt merkt er, dass er gebraucht wird. Eine vielleicht ganz unpolitische ältere Dame, die uns mit leckeren Kuchenspenden unterstützt. Alle werden gebraucht und alle bringen wichtige Impulse ein. Ein älterer Herr wollte beispielsweise unbedingt eine analoge Stadtteilzeitung herausbringen. Da dachten wir kurz: Passt das noch in unsere Zeit? Aber jetzt haben wir Schwarze Bretter geschaffen und die Zeitung dadurch allen im Stadtteil zugänglich gemacht.
Was ist für dich das Wichtigste bei der Arbeit für den Klima-Wandel-Kiez?
Dass die Veränderung und das Anpacken Menschen glücklich macht. Als wir die Wildblumenwiesen geschaffen haben und plötzlich begann alles zu blühen, Insekten schwirrten herum! Wir hatten mitten in der Großstadt Libellen! Das hat den Menschen unglaublich viel gegeben und ihnen ihre Selbstwirksamkeit gezeigt. Genau das brauchen wir für die Krisenzeiten, in die wir hineinsteuern: Resilienz. Wir brauchen die Gewissheit und die Erfahrung, dass wir als Gemeinschaft ganz viel erreichen, verändern und neu erschaffen können. Es ist der Weg der kleinen, aber sehr wirksamen Schritte.