Als Rückblick auf den Klimastreik letzten Freitag veröffentlichen wir heute die Rede von Sonja von den Psychologists for Future:
Hey, ich bin Sonja von den Psychologists for Future. Wir sind Psycholog*innen, die sich mit der For Future Bewegung für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit einsetzten.
Die Ampel ist krachend gescheitert, die FDP hat dem ganzen Land gezeigt, wie man Pyramiden nicht baut und die AfD hat allen Parteien erfolgreich eingebläut, dass das Thema Migration die wichtigste Frage unserer Zeit in Deutschland ist. Sogar so erfolgreich, dass aus der Brandmauer jetzt mehr sowas wie ein brennendes Lagerfeuer geworden ist, an dem man gemeinsam für Abschiebungsgesetze abstimmt.
Wen interessiert da schon effektiver Klimaschutz oder eine gerechte Sozialpolitik, wenn man sich auch für eine Sündenbockkultur entscheiden kann? Warum sollten wir uns die Arbeit machen und zunehmenden Klimakatastrophen, breitflächiger Armut und Ungleichheit oder einer immer stärker werdenden rechtsextremen Partei in diesem Land entgegenwirken, wenn wir diese Probleme auch einfach kleinreden können, beide Augen zudrücken, und denen, die sich nicht wehren können die Schuld zuschieben?
Und als wäre das nicht genug, ist jetzt auch in den USA ein vielfach angeklagter und mehrfach verurteilter Mann zum Präsidenten gewählt worden, der als erste Amtshandlung den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen angeordnet hat. An seiner Seite milliardenschwere Unternehmer, die die Fakten der Klimakrise leugnen.
Das alles klingt nach der fiebertraumähnlichen Story eines wirklich schlechten Trash-Films, ist aber leider unsere Realität im Jahre 2025.
Und was macht diese Realität mit uns? In meinem Umfeld bekomme ich sehr viele verschiedene Gefühle von Menschen mit: Da ist viel Wut und Unverständnis, da ist ein Gefühl von Trauer, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit, häufig ist da auch Ignoranz, Verdrängen und nicht wahrhaben wollen: Und da ist das große gemeinsame Grundgefühl der Angst.
Das ist zum Teil sehr unterschiedliche Angst: Angst vor der Klimakrise und ihren Folgen, Angst vor der ungewissen Zukunft. Angst vor sozialem Abstieg und Armut.
Aber auch Angst vor Veränderungen: Davor, dass Dinge anders werden könnten. Angst, den eigenen Status Quo zu verlieren, Abstriche im eigenen Leben machen zu müssen.
Während die eine Seite Angst hat, dass alles schlimmer wird, weil sich nichts verändert, hat die andere Seite Angst, dass alles schlimmer wird, weil sich die Dinge verändern.
Was bei der Diskussion um diese Ängste immer wieder unterschlagen wird: Klimaangst und Existenzängste sind in der heutigen Zeit Realängste, also Ängste vor realen Bedrohungen. Die Klimakrise spitzt sich zu und die Wissenschaft hat klar gemacht, was uns erwartet, wenn wir nicht sofort handeln. 2024 hat die globale Durchschnittstemperatur die 1,5 Grad-Grenze erstmalig überschritten. Extreme Wetterereignisse und Naturkatastrophen nehmen dadurch in Häufigkeit und Schweregrad dramatisch zu; Kriege und Pandemien werden wahrscheinlicher. Die Klimakrise bedroht uns alle und das macht Angst!
Gleichzeitig sind 2025 21,3% der Menschen in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – jedes fünfte Kind wächst in finanzieller Unsicherheit auf.
In einem Deutschland von 2025 Angst zu empfinden, Angst davor keine Zukunft zu haben, vor der Ungewissheit, mit welchen Lebensumständen man selbst, die eigenen Kinder und Enkelkinder konfrontiert sein werden, davor trotz harter Arbeit kein würdevolles Leben leben zu können, das sind für viele Menschen reale Ängste. Das sind auch erstmal gesunde Ängste. Diese Ängste bedeuten, dass man verstanden hat, wie es im Moment um unser Land und unseren Planeten steht.
Die Aufgabe einer gesunden Demokratie ist es, auf diese Ängste Antworten zu finden. Für die Politik bedeutet das, allen Menschen dieser Gesellschaft zuzuhören, zu verstehen, was die Ursachen der Ängste sind, um dann vorausschauende, nachhaltige Lösungen in die Wege zu leiten. Lösungen, die die Kernprobleme tatsächlich lösen.
Und weil diese Lösungen oft mit Veränderungen einhergehen, ist es auch Aufgabe der Politik, die Veränderungsbereitschaft der Menschen zu fördern. Auf Sorgen und Ängste von Menschen einzugehen, die sich vor Veränderung fürchten und Zukunftsvisionen aufzuzeigen, die Hoffnung und Lust auf Veränderung machen. Zukunftsvisionen, die Menschen motivieren, notwendige Veränderungen aktiv mitzugestalten!
Was wir aktuell in Deutschland sehen, unterscheidet sich krass von einer solchen Politik. Denn reale Ängste wie Klimaängste werden weiterhin als übersteigerte Reaktionen abgetan. Klimaziele werden abgeschafft, vertagt oder einfach ignoriert, anstatt anzuerkennen, dass konsequentes Handeln schon längst überfällig ist!
Statt Lösungen anzubieten für die vielfältigen Probleme unserer Gesellschaft, werden Ängste und Aggressionen gegenüber Minderheiten und Menschen geschürt, denen die Mittel fehlen sich zu wehren. Von Armut betroffene Menschen, migrantisierte Menschen und auch Menschen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Anstatt menschenwürdige Politik zu machen, drücken Politiker*innen ihre christliche Nächstenliebe zunehmend darin aus, die Würde dieser Menschen mit Füßen zu treten um ihre eigenen Privilegien zu erhalten.
Und eine Politik, die mit Angst arbeitet hat System: Denn Angst ist ein starkes und instinktives Gefühl. Sie ist evolutionär darauf ausgelegt, uns zu schnellen Reaktionen zu bewegen. Angst ist dazu gemacht, innerhalb von Sekunden zwischen Kampf oder Flucht zu entscheiden. Aber Angst ist nicht darauf ausgelegt komplexe Situationen zu verstehen, sie differenziert zu bewerten und kluge, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Doch genau diese durchdachten Entscheidungen sind in unserer heutigen Welt notwendig.
Wer Politik macht, mit dem Ziel, Menschen in Angst zu versetzten, dem liegt nicht an einer sozialen Demokratie oder Klimagerechtigkeit; daran Minderheiten zu schützen oder Vielfalt zu fördern.
Wer durch seine Politik bewusst Angst in der Gesellschaft schürt, wirkt aktiv daran mit, dass nicht mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, und gut überlegte Entscheidungen unsere Politik bestimmen, sondern Populismus, Hetze und Spaltung.
In neun Tagen findet die Bundestagswahl statt. Neun Tage um eine Wahlentscheidung zu treffen. Neun Tage um mit Freund*innen, Verwandten, Bekannten und vielleicht auch Unbekannten über die Wahl zu sprechen.
Und wenn ihr das tut, dann fragt euch und auch andere: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wollen wir eine Politik, die auf Angst und Stillstand setzt – oder eine, die Mut macht, Verantwortung übernimmt und für eine gerechte Zukunft kämpft?
Neun Tage, um nicht nur über unsere persönlichen Interessen nachzudenken, sondern auch über die unserer Mitmenschen. Darüber, was wir kommenden Generationen hinterlassen wollen.
Neun Tage, in denen wir zeigen können, dass Hoffnung stärker ist als Angst.
Danke!