Ein Konjunktur-Paket für die Spitze des Eisbergs

Ein Konjunktur-Paket für die Spitze des Eisbergs

Die einen jubeln, die anderen atmen auf und einige schütteln ungläubig die Köpfe. Was bedient das 130 Millarden schwere Konjunkturprogramm des Bundes 2020? Die Spitze des Eisberges.

In klimaaktiven Kreisen herrscht erst einmal Erleichterung darüber, dass nicht in eine Abwrack-Prämie, sondern stattdessen – man höre und staune – in saubere Busse, Bahnen und E-Mobilität investiert wird. Zudem werden Alleinerziehende berücksichtigt, Geld fließt in Forschung und Bildung und die größte Überraschung: die Mehrwertsteuer wird gesenkt, was bedeutet, dass alles, was bisher 1,19 Euro gekostet hat, für ein halbes Jahr lang nur noch 1,16 Euro kostet. Dies soll allen zu Gute kommen, macht sich aber natürlich nur bei Groß-Investitionen wirklich bemerkbar. Und auch nur, wenn der Handel die verringerte Mehrwertsteuer durch eine Preissenkung an die Konsument*innen weiterreicht – was freiwillig ist.

Also was bedeutet das Konjunktur-Paket wirklich? Die genaue Durchsicht ernüchtert. Macht euch am besten selbst ein Bild davon, es ist für die Menge an Milliarden, die verteilt werden, relativ gut zu lesen. Viele Punkte – vor allem die Aspekte, die sich klimaschützend und zukunftsweisend auswirken sollen – müssen inhaltlich erst noch ausgearbeitet werden und klingen daher ziemlich vage. Einen schnellen Überblick bekommt man, wenn man die Zahlen vergleicht. Zwei kleine Beispiele dazu: 10 Mrd. für vorgezogene Investitionen, unter anderem leider auch für Rüstungsprojekte, 2,5 Mrd. für den Öffentlichen Nahverkehr, was dort die coronabedingten Verluste mindern soll, ein Ausbau des ÖPNV zur Einleitung der notwendigen Verkehrswende ist damit nicht zu finanzieren.

Kurz zusammengefasst ist das Konjunktur-Paket keineswegs zukunftsorientiert, im Gegenteil. Wie Carla Reemtsma von Fridays for Future passend feststellt: “Eine verpasste Chance.“ Die Investitionen richten sich eindeutig an die üblichen „All-Heil-Mittel“, nämlich Konsum und Wachstum, von denen wir wissen, dass genau diese beiden Irrwege unsere Lebensgrundlagen zerstören.

Vom Einläuten einer sozial-ökologischen Wende, wie Fridays for Future, der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Gewerkschaften sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung im Vorfeld der Verhandlungen gefordert haben, ist im milliardenschweren Konjunkturpaket nichts zu merken.

„Konjunkturpolitische Maßnahmen müssen jetzt vor allem auf die sozial-ökologische Transformation abzielen, um sozialen Zusammenhalt und Klimaschutz zu sichern.“, so formulierte Christine Behle, stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende das dringend Notwendige.

Stattdessen verteilen die Verantwortlichen das Geld in alle Richtungen. Es gibt sogar ein bisschen was für die leidenden Wälder und den Tierschutz. Allerdings ist dieses neue Ausschüttungsprinzip vielleicht weniger auf einen politischen Gesinnungswandel, als vielmehr auf die bevorstehende Wahl 2021 zurückzuführen. Böse Zungen könnten behaupten, das vorgelegte Konjunkturprogramm sei eine strategisch klug platzierte Wahlkampfinvestition. Aber so weit wollen wir nicht gehen. Natürlich geht es den Verantwortlichen um das Ankurbeln der Wirtschaft und um das Abwenden von sozialen Notlagen. Für alle, die aufgrund der Corona-Krise in existenzielle Nöte geraten sind oder um ihren Arbeitsplatz, bzw. ihr Unternehmen fürchten müssen, sei zu hoffen, dass mit dem vorgelegten Programm diese Ziele  erreicht werden. Die Klima-Katastrophe wird durch dieses Ein-Bisschen-für-alle-Paket mit Sicherheit nicht abgewendet. Und uns läuft die Zeit davon. Daran hat die Corona-Pandemie nichts geändert. (Wie wenig unserer derzeitigen Regierung der Klimaschutz und die Zukunft der nächsten Generationen am Herzen liegt, sehen wir aktuell an dem neuen Kohlekraftwerk Datteln4, das Anfang Juni über alle Proteste hinweg ans Netz ging – das nur nebenbei und in Klammern.)

All die Finanzspritzen, die für betroffene Branchen und Kommunen sicherlich ungeheuer wichtig sind, ändern nichts an der miserablen Weichenstellung dieses Konjunkturprogramms. Nach wie vor ist der Blick auf Wirtschaft und Wohlstand eben der Blick auf die lauten und sichtbaren Konzerne, deren Profit auf einem ständigen Geldkreislauf, auf Konsum, Wachstum und Produktion beruhen.  Dies ist aber nur die Spitze des Eisberges, der unseren wahren Reichtum ausmacht.

Unser wahrer Reichtum fußt vor allem auf dem nicht sichtbaren Teil des Eisbergs, der so gerne als selbstverständlich und naturgegeben hingenommen wird. Die Basis unseres Wohlstandes ist die Arbeit der Menschen. Die gut, die schlecht und die gar nicht bezahlte Arbeit. Unser „gutes Leben“ beruht auf unserem gemeinschaftlichen Miteinander, auf der klimaabhängigen Lebensmittelproduktion, auf einem am Menschen ausgerichteten Gesundheits- und Versorgungssystem, auf der lebensnotwendigen Care-Arbeit, auf den funktionierenden Naturkreisläufen, auf dem Zusammenwirken von Elementen, Mikroorganismen und vielen Phänomenen, die wir wahrscheinlich nie vollständig begreifen werden. Wenn das alles wegbricht – dann bricht nicht nur unser Wohlstand zusammen, sondern unser gesamtes Zusammenleben.

Diesen unsichtbaren Teil des Eisberges als selbstverständlich oder wirtschaftlich irrelevant darzustellen, ihn bei einem solch umfassenden Konjunktur-Programm auszublenden, ist aus unserer Sicht antiquiert und volkswirtschaftlich überaus kurzsichtig. Es ist darüber hinaus arrogant und rücksichtslos gegenüber den jetzt Lebenden und den kommenden Generationen.

Um es mal ganz plakativ auf den Punkt zu bringen: Wir können ohne Massen-Tourismus, ohne eine marktführende Auto-Industrie und ohne Rüstungs-Exporte weiterleben, aber nicht ohne einen ökologisch funktionierenden Planeten. Und nicht ohne Menschen, die füreinander da sind.

(Weitere Informationen zum „Eisberg-Modell“: Andrea Vettel, https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/themen/arbeit/warum-care-und-degrowth-zusammen-gehoeren/)

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Frieda