Home-Office für alle!

Home-Office für alle!

Heute ist 1. Mai. Ein guter Tag, um darüber nachzudenken, wie wir uns das Arbeiten in der „Nach-Corona-Phase“ vorstellen. Dass die Corona-Pandemie unsere Arbeitswelt nachhaltig verändern wird, ist im Positiven wie im Negativen unausweichlich.

Was wird, was soll sich ändern?

Schon vor der Krise war vom „Strukturwandel“ die Rede.  Jetzt hat die Digitalisierung auf der einen Seite einen riesigen Sprung nach vorn gemacht, zum anderen drohen aufgrund der Corona-Krise Massen-Arbeitslosigkeit und der wirtschaftliche Abstieg ganzer Branchen. Verschiedene Ideen schwirren durch die Medien, z.B. die Viertagewoche, die Quentin Lichtblau in seinem sehr schönen Zeit-Artikel „Free Day for Future“ fordert oder das Recht auf Home-Office, das der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil persönlich ins Spiel bringt. Beides würde nicht nur den Menschen, sondern auch der Umwelt helfen. Bei beiden Vorschlägen fehlt mir aber etwas: Sie verschieben zwar Raum und Zeit der erbrachten Arbeitsleistung, aber sie verändern nicht wirklich unsere Arbeitswelt und auch nicht die grundsätzliche Haltung gegenüber der von Menschen erbrachten Arbeitsleistung.

Wir brauchen dringend einen tiefgreifenderen Wandel, um unsere „Winner-Looser-Arbeitswelt“ in eine produktive Welt zu verwandeln, in der die gesellschaftliche Leistung wahrgenommen und entlohnt wird. Dazu könnte man die beiden oben genannten Vorschläge wunderbar miteinander verknüpfen: Ein Home-Office-Day für alle! Ich stelle mir vor, dass – z.B. an jedem Freitag – ein Shut-Down stattfindet und alle zu Hause bleiben. Läden und Behörden sind geschlossen. Der Öffentliche Verkehr und andere unerlässliche Dienste würden im Sonntags-Modus angeboten werden. Ein solcher Tag entschleunigt unser hektisches Leben, spart Zeit, Geld und Energie, schont die Umwelt und reduziert den CO2-Ausstoß. Ein Tag pro Woche, an dem die Natur aufatmen kann. Und wir auch.

Die einen lehnen sich zurück und arbeiten in Ruhe das ab, was von Montag bis Donnerstag liegen geblieben ist, andere greifen zum Telefon und besprechen, was zu besprechen ist, unterhalten sich innerhalb des Kollegiums, mit dem Klientel oder der Kundschaft am Bildschirm.
Webinare, Video-Konferenzen, außerschulisches Lernen, Kommunikation über Email oder Chat – das alles haben wir doch jetzt (zu schätzen) gelernt und können es weiter professionalisieren. Da ist noch Luft nach oben. Derzeitig arbeiten rund 35% der Beschäftigten zumindest zeitweilig im Home-Office, aufgrund der Corona-Pandemie wurden Millionen Mobile Arbeitsplätze eingerichtet. Warum nicht noch ein paar mehr? Auch in pflegerischen, pädagogischen oder sozialen Berufen fallen in der Regel Verwaltungs-, Vorbereitungs- oder Dokumentations-Aufgaben an.

Der Bundesarbeitsminister schränkt seine Idee zum Recht auf Home-Office leider ein: „Für rund 53 Prozent ist Home-Office allerdings nicht möglich, weil sie an einer Kasse sitzen oder auf Baustellen, Feldern oder in der Logistik arbeiten.“  Wenn wir zu dieser Auflistung noch die Pflegekräfte, die Gebäudereinigung und die Müllabfuhr hinzunehmen (die Liste ist nicht abschließend gemeint!) , haben wir ziemlich genau die Arbeitsbereiche zusammen, die jetzt gerade – während der Corona-Krise – unser Leben am Laufen halten. Ausgerechnet für die würde das Recht auf Home-Office also einfach nicht gelten?

Die „Heldinnen und Helden des Alltags“ werden zurzeit als „systemrelevant“ gelobt und beklatscht, arbeiten aber zugleich unter körperlich und/oder psychisch enorm belastenden Rahmenbedingungen und werden – zumindest was die soeben genannten Arbeitsfelder angeht – erschütternd schlecht bezahlt. Höchste Zeit, genau diese Berufe attraktiver zu machen!

Warum nicht durch einen Home-Office-Day auch und gerade für sie? Ein Tag, an dem Pflege- und Rettungskräfte in Ruhe verarbeiten können, was sie in den zurückliegenden Schichten erlebt haben, an dem auch Paketzusteller und Reinigungskräfte sich weiterbilden können. Also ein Regenerations- und Weiterbildungstag für besonders belastete und/oder schlecht bezahlte Berufe. Eine gesellschaftliche Anerkennung für das, was sie an den anderen vier Tagen für uns alle leisten.

Das wäre doch mal was Neues.

Ganz ehrlich: Wir kommen gar nicht drum herum, systemrelevante Berufe, in denen das Personal fehlt, attraktiver zu machen, sie menschen- und familiengerecht zu gestalten, sie mit Perspektiven und Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu versehen. Nutzen wir den hochentwickelten Stand der Technik doch, um die Qualität der menschlichen Arbeit endlich losgelöst von ihrer berechenbaren Produktivität zu sehen. Denn für eine berechenbare kontinuierliche unermüdliche Produktivität haben wir überaus leistungsfähige Maschinen. Zur menschlichen Leistungsfähigkeit gehören dagegen Vielseitigkeit, Individualität, Entwicklung und Selbstbestimmung. Menschen können empathisch handeln, kreativ Probleme lösen und flexibel Prioritäten setzen. Wir brauchen eine Arbeitswelt, die es allen Menschen ermöglicht, ihr Potential zu entfalten!

Einmal pro Woche Home-Office für alle – also auch für Lehr- und Betreuungskräfte. Was bedeutet das für diejenigen, deren Kinder dann zwangsläufig zu Hause sind?

Nun, das ist vielleicht der spannendste Aspekt eines „Home-Office-für-alle-Tages“, denn er macht einen weiteren, blinden Fleck unserer Arbeitswelt sichtbar. Home-Office und gleichzeitig Kinderbetreuung? Home-Office und Home-Schooling unter einem Dach? Nein, das klappt nicht oder nur sehr eingeschränkt. Es wird leichter sein, wenn die Kinder wieder zu den Großeltern gehen können, sich verabreden, selbständig an ihren Hausaufgaben sitzen. Wenn Eltern sich abwechseln können. Wenn Geschwister gemeinsam spielen, wenn die Kinder älter werden. Aber in einigen Familien geht es eben auch gar nicht. Weil die Mütter oder Väter alleinerziehend sind. Oder weil sie ein besonderes Kind haben, das mehr Kraft und Aufmerksamkeit beansprucht als andere. Oder weil sie sich um pflegebedürftige Eltern kümmern. Aber dann ist das so. Das ist gesellschaftliche Realität. Auch die unbezahlte Sorgearbeit ist wichtige, gesellschaftsrelevante Arbeit, die geleistet werden muss, damit unser Zusammenleben funktioniert.

Deshalb würde ein solcher Home-Office-Tag für alle nur dann funktionieren, wenn Beschäftigte an diesem Tag eigenverantwortlich entscheiden können, in welcher Form und in welchem Umfang dienstliche Erledigungen und Betreuungsaufwand miteinander zu vereinbaren sind. Eltern, die zu Hause Kinder betreuen, sind im Home-Office anders unterwegs, brauchen mehr Flexibilität und Freiräume als andere Beschäftigte. Dazu gehört von Seiten der Vorgesetzten Vertrauen, Verzicht auf engmaschige Kontrolle und die Bereitschaft, mehr Eigenverantwortung zuzulassen. Übrigens wächst mit der Eigenverantwortung in der Regel auch die Motivation! Unter diesen Bedingungen könnten Familien den gemeinsamen Home-Office-Day als Gewinn betrachten. Ein wöchentlicher Home-Office-Day als anerkannte Familien-Arbeitszeit.

Das wäre auch mal was Neues.

Ganz ehrlich: Wenn wir von Eltern und pflegenden Angehörigen weiterhin verlangen, dass sie sich zwischen den unterschiedlichen Anforderungen zerreißen und dass ihre private Belastung in Bezug auf ihre Erwerbstätigkeit gleichzeitig möglichst unsichtbar bleibt, dann ist damit niemandem geholfen, weder den Betroffenen, noch den Kindern, den Pflegebedürftigen, der Arbeitsstelle und schon gar nicht der Gesellschaft.

Also Raum für etwas Neues, zumindest einmal in der Woche.

Der „Home-Office-Day für alle“ ist kein ausgeklügeltes Konzept, sondern nur ein Gedankenspiel.

Aber warum nicht über das hinausdenken, was uns so lange selbstverständlich erschien. Nehmen wir uns die Freiheit, die engen Grenzen eines „Das-geht-nicht-anders-weil-das-war-schon-immer-so“ unwiderruflich hinter uns zu lassen. Denn nur, wenn wir unsere bisherige Lebens- und Arbeitsweise kritisch hinterfragen, werden wir aufhören, die Ausbeutung von Menschen, Tieren, Lebensräumen und Natur als Normalität zu behandeln.

Habt ihr auch Ideen, wie wir die Arbeitswelt so verändern können, dass aus der Corona-Krise eine Chance wird? Habt ihr in dieser außergewöhnlichen Zeit vielleicht Erfahrungen gemacht, die eure persönliche Arbeitsweise oder euren Blick auf eure Erwerbstätigkeit verändert hat?
Schreibt uns eure Erkenntnisse, eure Ideen, Erfahrungen, eure Hoffnungen. Vielleicht können wir euch dann an einem anderen Freitag einen ganzen Strauß von Ideen in einem Blog-Beitrag präsentieren.

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Frieda